TITANIC



Ich bin nicht gerade ein Fan von James Cameron, ab "Aliens" hat er nichts auf die Beine gestellt, womit ich zufrieden gewesen wäre. Das Thema "Titanic" hängt mir zum Hals heraus, ähnlich "Dracula", "Frankenstein", "Robin Hood" oder ähnlich ausgelutschte Themen - zumal das Thema "Titanic" ja nichtmal was wesentlich Neues bieten kann. Meine Erwartungen an den Film waren im Vorfeld daher ausgesprochen niedrig. Eigentlich schrecke ich vor dem Thema auch aus ganz anderen Gründen zurück - ich habe das Talent, mich mit Filmen (wenn möglich) irgendwie zu identifizieren und das kitschige Geseire älterer Verfilmungen mit herzzerreißenden Abschiedsszenen, absaufendem Männerchor etc. gehört zu der Sorte Vorstellungen, die in die Kategorie "persönlicher Alptraum" zählen, sowas möchte ich nie an der eigenen Haut erleben müssen und Gedankenspiele könnten mir den letzten Schlaf rauben. Ich empfand schon eine im Laufe des letzten Jahres von Premiere ausgestrahlte Doku mit Schilderung von Einzelschicksalen und nachgedrehten Szenen als enervierenden Psycho-Trip mit Langzeitwirkung und schäme mich nicht, das zuzugeben. Des weiteren stand auf dem Filmplakat der Name "Billy Zane" - ein Schauspieler, der selbst für B-Pictures zu fünftklassig ist und mich mit seiner dümmlich grinsenden Fratze eher von einem Film abschreckt.


Weshalb ich ihn mir doch angesehen habe? Erstens weil man mitreden möchte (aus diesem Grund schreckte ich dummerweise auch vor ID4 nicht zurück) und zweitens, weil mich bereits Copolla mit einer neuen Verfilmung eines ausgelutschten Themas angenehm überrascht hat, ein Funken Hoffnung schwelte also in mir - angesichts des Regisseurs jedoch kein glühender. Ebenso sehe ich mir gerne lange Filme an, und diese sind selten genug, um sich ja keinen entgehen zu lassen :-)


Okay, da saß ich dann im Kino, genauer gesagt in der Schauburg in Karlsruhe. Dieses Kino war ein Kompromiß, denn das Publikum kann man in der Regel auf den Mond schießen und wie erwartet lief dort nicht die DTS-Kopie, sondern die DD-Fassung (inklusive eines sehr häßlichen Fallbacks). Die Vorführung der Originalfassung kam aufgrund der Laufzeit anscheinend von vorneherein nicht in Frage, weshalb dann die DTS-Kopie bezahlen ... naja, egal. Wenigstens machten sie während des Films keine Pinkelpause für die knapp 150 anwesenden Mädels, dann wäre die Vorstellung wohl erst zwei Tage später beendet gewesen ... Nun denn, konzentrieren wir uns jetzt auf das Wesentliche, nämlich den Film.


Da saß ich nun und wappnete mich gegen eventuelle schlaflose Nächte mit leise hingemurmeltem "Alles nur ein Film, das ist nicht echt, alles nur ein Film". Danke Cameron, diesen Versuch hast Du mir schon früh versaut - während des Vorspanns zeigt er alte Originalaufnahmen des Ablegens der Titanic inkl. dem Gewinke der Passagiere, nur um später diese Szene nochmal detailgenau nachzudrehen ... mit dem Auf-Distanz-gehen war dementsprechend Essig, Cameron machte schnell deutlich, daß der Film eben keine Fiktion ist. Hier sammelte der Film schonmal Punkte bei mir - bei Filmen dieses Genres war ich eigentlich gewohnt, daß über die folgende Tragödie hinweggespielt wird und man über das erste Drittel des Films in Manier von "Erdbeben" oder "Dantes Peak" mit irgendwelcher Pseudohandlung und Alibi-Charakterisierungen irgendwelcher Filmstars mit 3-Minuten-Auftritten hinweggeschleppt wird, für welche sich letztendlich nichtmal der Film interessiert, geschweige denn der Zuschauer. Mein Liebling als Negativbeispiel ist hier übrigens der Motorradfahrer aus "Erdbeben".


Gleich nach dem Vorspann nimmt Cameron das Ende des Filmes vorweg. Er zeigt eine Tauchfahrt zum gesunkenen Wrack und konstruiert eine Rahmenhandlung. Zu diesem Zeitpunkt war eigentlich schon klar, daß die Tatsache des Unglücks nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt des Films sein kann, da musste also noch irgendwas kommen. Zuerst kam jedoch nur die Rahmenhandlung.


Diese trägt zu dem eigentlichen Film nicht viel bei, verstärkt allerdings den Eindruck der Authenzität ungemein. Ich glaube sogar, mich daran erinnern zu können, daß der im Film gesuchte Diamant sowohl als auch sein Besitzer inkl. seines Selbstmordes einige Jahre später in der oben genannten Premiere-Doku erwähnt wurden - sollte ich mich irren, ist der Plot jedoch zumindest für mich glaubhaft. Jedenfalls sucht man den Diamanten, findet ihn jedoch nicht, sondern stattdessen nur die Zeichnung einer Frau mit dem Diamanten-Collier als einziges Kleidungsstück. Die damals gezeichnete Frau lebt noch, findet sich bei der Suchmannschaft ein und beginnt in einer stillen Stunde, das Erlebte zu erzählen - willkommen auf der Titanic und in den Armen von Leonardo DiCaprio.


DiCaprio spielt Jack Dawson, einen jugendlichen Herumtreiber aus Amiland, der sein Ticket für die Überfahrt beim Pokern gewonnen hat. Vom Deck der zweiten Klasse aus erspäht er Rose und scheint sie irgendwie attraktiv zu finden.


Rose gehört der oberen Gesellschaftsschicht an, allerdings einer recht bankrotten Familie, und ist aus finanziellen Gründen mit einem unausstehlichen Schönling (Billy Zane) verlobt. Ihr Leben passt ihr überhaupt nicht, sie denkt an Selbstmord, will des Nachts über die Reling hüpfen und wird prompt von Jack gerettet. Als Dankeschön erhält Jack (nach ein wenig Nachhilfe von Rose bei ihrem prompt eifersüchtigen Verlobten) eine Einladung zum Essen in der ersten Klasse, und nimmt natürlich dankend an.


Einiges Hin und Her, Jack trifft Rose, Rose ist es peinlich weil nicht standesgemäß, Jack zeigt Rose ein paar selbstgemalte Bilder, Rose ist beeindruckt, man verbringt die Zeit zusammen.


Irgendwie scheinen sich die beiden ineinander zu verlieben (nachvollziehbar war es für mich nicht), turteln irgendwann ein wenig, Jack soll Rose malen, er tut es (nachdem ihm beim Anblick der nackten Rose die Kinnlade auf den Boden kippt - hübsche Figur übrigens, besser als das Käsekuchen-Gesicht), irgendwann treiben es die beiden im Lagerraum. Der klischeehafte Verlobte ist sauer, hetzt ihnen seinen Diener hinterher, Verfolgungsjagd durch die Gänge des Schiffes, Jack liebt Rose, Rose liebt Jack, ein paar gesäuselte Versprechen und die erste Hälfte des Films ist vorbei.


Aus heiterem Himmel folgt nun die Kollision mit dem Eisberg. Niemand nimmt die Sache ernst (das Schiff ist schließlich unsinkbar), bis dem Konstrukteur der Titanic der Schweiß ausbricht und er das Sinken des Schiffes ankündigt. Um keine Panik zu erzeugen, überzeugt man die Passagiere, ihren Brandy doch bitte mit angezogener Schwimmweste einzunehmen - lediglich Jack ist (natürlich) beunruhigt. Man beschließt, den standesgemäßen Lover und seine Clique zu warnen. Jack wird dabei jedoch Opfer eines Komplotts und des Diebstahls des gewissen Diamanten bezichtigt - und im Bug des Schiffes zwecks sicherer Verwahrung angekettet. Äußerst ungünstig gewählter Zeitpunkt natürlich.


Rose befreit Jack in letzter Sekunde. Respekt übrigens - meine Frau hätte mir in dieser Szene mit Sicherheit die Axt in den Rücken gehackt :-) Währenddessen werden auf Deck bereits die spärlichen Rettungsboote besetzt, und um die Herrschaften vor dem Pöbel der unteren Klassen zu schützen, werden diverse Absperrungsgitter abgeschlossen und die Leute der unteren Gesellschaftsschichten unter Deck eingepfercht. Vollkommen klar, daß die durch das Wasser watenden Rose und Jack gewisse Schwierigkeiten zu erwarten haben. Dementsprechend zeigt Cameron über einen längeren Zeitraum abwechselnd die Geschehnisse auf Deck sowie "The adventures of Jack and Rose" (aka "Raiders of the lost life boat").


Auf Deck angekommen, treffen die beiden erwartungsgemäß auf Jacks Widersacher in Liebesdingen, auf dessen Abschußliste Jack den obersten Platz innehat. Die beiden überzeugen Rose, den letzten Platz in einem Boot zu besetzen, nachdem Billy sie davon überzeugt hat, daß er mit einem Bootsmann einen Deal für sich und Jack ausgehandelt hat, infolgedessen zwei Plätze in einem anderen Rettungsboot für sie reserviert wären. Der zweite Platz war natürlich nicht für Jack, sondern für den Diener bestimmt. Beim Herablassen des Bootes überlegt Rose es sich (nach einer herzzereißenden Abschiedsszene, ich hatte s ja geahnt) anders und klettert auf die Titanic zurück. Jack und Rose finden sich wieder, kämpfen sich zum Heck des Schiffes durch, saufen mit der Titanic ab, paddeln im Wasser herum, Jack erfriert, Rose nicht, die Mädels im Kino schluchzen. Rahmenhandlung wird zu Ende geführt, Abspann.


Gut, soviel zur Handlung. Jetzt kommt die eigentliche Kritik.


Cameron hat hier einen Mammutfilm vorgelegt, bei welchen viele schon angesichts der Laufzeit von 192 Minuten ins Schwitzen kommen dürften. Die erste zweier wichtiger Fragen: Ist der Film langweilig?

Antwort: Nö. Man unterhält sich während der ganzen Zeit prächtig.

Zweite Frage: Cameron ist ja ein begabter Actionregisseur, bisher war er bei längeren Szenen ohne Action, sondern dafür mit Dialogen, wie z.B. in "Aliens" oder "The Abyss" nicht sonderlich fesselnd und eher Durchschnitt - wie sieht es bei "Titanic" aus?

Antwort: Nicht anders.
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Und hier setze ich den Hauptkritikpunkt bei "Titanic" an. Der Plot ist nicht von Anfang bis Ende mit Actionsequenzen bestückt (wie sollte er auch?), was einen imho leider Gottes auftretenden Effekt hat, den ich näher erläutern möchte.


Im Mittelpunkt des Films steht nicht das Schiff an sich, sondern vielmehr das Schicksal von Jack und Rose. Selbst während des Untergangs verliert der Film die beiden nicht aus den Augen. Ich betrachte "Titanic" daher nicht als Katastrophenfilm im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr als Drama. Wenn man es genau nimmt, sind die dramatischen Elemente wie Exposition, Eklipse, etc. im klassischen Sinne eines Dramas im Film vorzufinden.


Das finde ich schonmal positiv, aber leider gibt es hierbei eine Schattenseite namens James Cameron. Die Charakterisierungen und dramatischen Elemente dümpeln vor sich hin, hingegen läuft er bei der Inszenierung des Untergangs der Titanic in Höchstform auf. Hinzu kommt noch was anderes: Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber es kam mir so vor, als ob der Untergang des Schiffs in etwa genausoviel Zeit in Aspruch nimmt, wie der Aufbau der Liebesgeschichte - etwa die Hälfte des Films. Der Gegensatz zwischen dem Drama und dem "Actionfilm" könnte nicht krasser ausfallen, als er es in "Titanic" ist - und ich habe den Eindruck, daß man sich in ein paar Jahren beispielsweise weniger an die Liebesgeschichte erinnert, als an die Szene, in welcher ein Mann vom Heck der Titanic herabstürzt und dabei auf die hoch in der Luftstehenden Schiffschrauben donnert. Und das finde ich schade; für stillere Handlungen talentierte Regisseure hätten aus der ersten Hälfte des Films mit Sicherheit mehr herausgeholt.


Apropos Talent von Cameron: Eine Frage stellt sich mir auch jetzt immer noch. Weshalb sind Jack und Rose so ineinander verliebt, daß sie nichts auf der Welt trennen kann? Die Liebesgeschichte ist das unzweifelhafte Topic des Films - aber ich verstehe nicht, was an dieser Liebe so toll sein soll. Die Beziehung der beiden erinnert mich stattdessen vielmehr an einen heißen Urlaubsflirt, bei welchem man sich nach der heißen Nacht nicht mehr an den Namen des anderen erinnert, geschweige denn heiße Liebesschwüre in einer Affaire, welche nur wenige Stunden andauert. Entweder hat Cameron bei der Darstellung der Liebesbeziehung aufgrund Mangel an Talent für sowas einiges gar nicht erklären können, oder die entsprechende Charakterisierung findet in den rausgeschnittenen 45 Minuten statt, oder Cameron will uns lediglich sagen, daß Jack und Rose kindische Weicheier sind, die nach dem ersten Fick ihres Lebens ('tschuldigung) erstmal in Traumwelten von pubertierenden Teenagern abtauchen und sich aufgrund fehlender Erfahrung das Blaue vom Himmel runterversprechen. Keine Ahnung, hier läßt Cameron mich im Regen stehen.


Aber soll ich Euch was sagen: Dieser Aspekt ist mir im Nachhinein völlig schnuppe - vielmehr ein störender Makel, der verzeihbar ist, denn der Rest des Films macht diesen Patzer wieder wett.


Die filmische Arbeit ist ansonsten von hohem Niveau. Cameron hatte ein paar interessante Ideen; so produziert er stets weiche Übergänge zwischen Kern- und Rahmenhandlung durch softe visuelle Überblendungen zwischen dem Wrack und der intakten Titanic. Neben den Aha-Effekten ("So sah das also vor der Katastrophe aus") ist vor allem beeindruckend, daß diese Überblendungen butterweich aus Kamerafahrten heraus entstehen - extrem eindrucksvoll gemacht. Die Ausstattung gehört zum besten, was ich jemals in einem Film gesehen habe. Die Optik ist generell umwerfend - naja, zwei Ausnahmen bestätigen hier die Regel, denn zwei bildschirmfüllende Bluescreen-Einstellungen sind aufgrund ihrer Schwierigkeit nicht erste Sahne. Genauer gesagt die Sequenz, als die Titanic mit ihrer Seite am Eisberg entlangschrubbelt und jene, in welcher sich das Heck des Schiffs über die herumpaddelnden Menschen hebt. Hier fühlte ich mich ein wenig in die gute alte Zeit versetzt, in welcher Charlton Heston beim Wagenrennen munter ein nicht existierendes Pferd peitschte, während hinter ihm auf einer Leinwand ein Film mit dem Rest des Feldes ablief. Ansonsten waren die Effekte von einem sehr hohen Niveau, da kann man nichts sagen. Stellenweise stockt einem der Atem, zum Beispiel wenn die Titanic auseinanderbricht und das Heck des Schiffes auf die herumschwimmenden Menschen kracht, oder wenn eine Person abstürzt und man ihrem langen Fall durch Geländer und sonstige Hindernisse bis zum Aufschlag im Wasser verfolgen kann. Wie bereits erwähnt finde ich es nur schade, daß solche Augenblicke vom eigentlichen Kern des Films ablenken und die Effekte manchmal zur Effekthascherei mutieren.


Da wir schon bei den Effekten waren, kommen wir mal zum Ton: SAGENHAFT. Ich habe noch nicht oft erlebt, daß Surroundkanäle derart sinnvoll eingesetzt werden - und überhaupt nicht in solcher Quantität (auch nicht in "Star Wars Trilogy Special Edition" und "Das Boot - Director's Cut". Die Surroundkanäle laufen über große Parts praktisch unter Vollast (in der zweiten Hälfte eigentlich durchgehend), schon alleine das ist ein Grund, sich den Film im Kino anzusehen, anstatt auf eine Videoveröffentlichung zu warten. Zusammen mit den tollen Bildern macht der Ton den Film zu einem Erlebnis, wie man es selbst im Kino lange nicht mehr erleben konnte. Der Ton ist oftmals auch regelrecht manipulativ und dient weniger der Effekthascherei wie im Mainstream-Kino zu oft die Regel. Beispielsweise hört man während der ersten Hälfte das Wasser stinknormal im Center plätschern, mit dem Eintreten der Katastrophe breitet sich diese Geräuschquelle über sämtliche Lautsprecher in gleichem Maße aus, was die Präsenz des Wassers sofort unbewußt als wesentlich bedrohlicher erscheinen läßt. Auch in anderen Passagen des Films werden die Surroundkanäle zur Darstellung einer Stimmung benutzt - zum Beispiel während der Tansszene unter Deck. Während die für Rose anödende Musik der upper class bisher immer brav aus einer Richtung kam, bricht hier das Getrommel und Gefidele aus allen Richtungen über den Zuschauer ein und macht die Szene für den Zuschauer ebenso zu einem Höhepunkt, wie sie es für Rose darstellt.


Beim Tonschnitt wurde stellenweise geschlampt, was aber auch an der Synchronisation liegen kann. Über die Surroundkanäle sind auch Stimmen zu hören (gesprochene Worte, nicht nur Hintergrundsgemurmel), aber hin und wieder übel verwurschtelt. Bei einer Szene hat mich so ein Patzer völlig aus meiner Konzentration auf den Film gerissen und mich genug verwirrt, um dem gesprochenen Wort für ein paar Sekunden nicht mehr folgen zu können. Ich meine die Szene, in welcher Rose sich mit ihrer Familie zum Kaffeetrinken eintrifft und ihre Mutter ihr einen Blumenkohl ans Ohr labert. Man hört die Stimme der Mutter ständig über den rechten Kanal, wogegen man nichts aussetzen könnte, schließlich sitzt sie auch dort. Mitten in einem Satz erfolgt jedoch ein Schnitt, in der zweiten Hälfte des Satzes sitzt die Mutter jedoch von der Kameraposition - ihre Stimme erschallt jedoch weiterhin munter von rechts außen. Solche Dinge sind entweder für den Tonschnitt oder die deutsche Snychro ein Armutszeugnis.



So, jetzt habe ich etliche Zeilen munter genörgelt, es sollte zum Fazit kommen:

Trotz diverser Patzer wie der unvollständigen Charakterisierung hat mich der Film überzeugt. Ich bin froh, ihn gesehen zu haben und vertrete letztendlich die Meinung, daß ich zum ersten Mal bei einem aktuellen Kinofilm das gesehen habe, was ich sonst nur aus dem Fernsehen oder Wiederaufführungen kenne: Monumentales Hollywood-Kino ersten Ranges, genau so stellt man sich eigentlich ein richtiges Prachtstück aus der Traumfabrik vor, wie man sie in den 50ern regelmäßig und heutzutage fast gar nicht mehr vorgesetzt bekommt. Aus diesem Grunde sollte man den Film unbedingt in einem großen Kino sehen - besser gar nicht als ein erstes Sehen auf dem heimischen Fernseher oder in Hinterzimmerklitschen. Ich kann nur schwer abschätzen, ob mich der Film ebenso beeindruckt hätte, hätte ich ihn auf einer kleineren Leinwand mit schlechterem Ton oder gar auf einer Mattscheibe gesehen ... und beeindruckt hat mich der Film ungemein.


Nicht einmal Billy Zane hat mich gestört, und das soll was heißen. Wahrscheinlich hätte ich sogar Kevin Costner verkraftet - Grund dafür ist letztendlich Cameron, denn auch wenn er kein erstklassiger Regisseur ist, hat ihm der Film seine überwältigende Wirkung letztendlich zu verdanken.


Nachträglich habe ich den Film im Geiste auch mit anderen Filmen ähnlicher Genres verglichen - allen voran natürlich ältere Titanic-Verfilmungen. Diese erscheinen als Kinderkacke, mit Kitsch nahezu überladen. Paradebeispiel ist die Gefühlsduselei beim Abschiednehmen, die riesige Blaskapelle, welche beim Absaufen noch munter spielt und die zum Chor formierten Männer, die munter gröhlen als gäbe es nichts Schlechtes auf dieser Welt, während ihnen das Wasser um die Füße spült und die Titanic untermalt vom Wehgeschrei der Weiber im niedlichen 10-Grad-Winkel in den Fluten des Ozeans verschwindet ... argl. Auf Kitsch läßt sich Cameron erst gar nicht ein. Drei Sequenzen sind ausgesprochen sentimental, nämliche folgende:



Ersteres ist imho notwendig, da hier das eigentliche Grauen der Katastrophe vermittelt wird. Sowas schwirrt einem noch recht lange im Kopf herum, das ist mehr wert, als sich in "Erdbeben"-Manier großartig auf nicht vorhandene Charakterisierungen von Personen anhand Schilderungen des balanglosen Alltags vorzuführen, nur um sie dann irgendwann verrecken zu lassen ... Hey, guckt mal, da sterben lebende Menschen. Hat Cameron hier imho wesentlich geschickter mit einem Minimum an Zeitaufwand vollbracht.


Zweites ist schlichtweg hinterfotzig. Hier geht das große Geflenne im Kino los, die Tränen fließen vor allem bei weiblichen Zuschauern in Strömen (kurzes Umschauen lohnt sich ;). Cameron baut hier, ohne großartig den Schmlaz triefen zu lassen, lediglich über die Musik und die Bilder eine herrlich intensive Stimmung auf, wie man sie eigentlich nur aus Disney-Produktionen kennt (kitschiger und mit viel Blabla sowie Geschluchze auf der Leinwand eben). Das Erlebnis des Films wird hierdurch nicht nur auf visueller, sondern auch auf menschlicher Basis ungeheuer intensiviert.


"Titanic" definiert das Genre des Katastrophenfilms und Untergangsdramas nicht nur von Grund auf neu, sondern deklassiert bisher erschienen Filme völlig. Nach "Titanic" kann man über Filme wie "Poseidon Inferno" nur noch müde lächeln, der innere Aufbau von "Erdbeben", "Flammendes Inferno" etc. erscheint mir der klischeehaften Einbringung von Hollywood-Stars mit mühsam konstruierter Existenzberechtigung dieser Rollen im direkten Vergleich als gnadenlos behämmert und schwachsinnig. Das menschliche Drama versiebt Cameron gnadenlos - vielleicht bringt die von ihm für Laserdisc angekündigte vollständige Fassung diesbezüglich die Erleuchtung, mal sehen. Der Film ist jedoch nachhaltig genug, daß dies in der Tat mehr einen Makel als einen unverzeihlichen Fehler darstellt - lediglich bedauerlich, denn hierdurch ist "Titanic" knapp an der Perfektion vorbeigeschrammt und, auch wenn es angesichts der über 3 Stunden Spielzeit eigentlich paradox anzumuten scheint, einfach um eine Stunde zu kurz.


"Titanic" ist Unterhaltung der Spitzenklasse, wenn auch Freunde des Actiongenres in der ersten Hälfte etwas gähnen dürften. Durch die zweite Hälfte verdient sich "Titanic" dennoch einen Platz im Olymp des Actionkinos - hier geht Cameron über einen langen Zeitraum zur Sache wie selten zuvor zu sehen war. Wäre die Charakterisierung glaubhafter, könnte man dem Film auch angemessenen Anspruch bescheinigen, in diesem Punkt ist er jedoch nur Durchschnitt, wenn auch dem typischen Mainstream-Kino der letzten Zeit noch haushoch überlegen. Langweilig ist der Film jedenfalls nicht und dürfte nicht nur gemäßigten Freunden des Kinos gefallen, sondern auch ausschließlichen Anhängern eines der beiden eingebrachten Genres.


Bei "Titanic" hat man es mit einem Film zu tun, an welchen man sich noch in 50 Jahren erinnern und der aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem ganz großen Filmklassiker in der Tradition von "Ben Hur", "Die zehn Gebote" oder "2001-Odyssee im Weltraum" werden wird - schon alleine deshalb nicht versäumen, für sein Eintrittsgeld bekommt man nur selten derart viel filmischen Gegenwert geboten. Neben "Lost Highway" auch der einzige Film der letzten 20 Jahre, der mich dazu veranlaßt hat, tagelang bei jeder Gelegenheit unbewußt meine Gedanken abschweifen zu lassen und über den Film nachzudenken.



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